An meinem zweiten Schultag musste ich schon für die erste Lektion, die allerdings netterweise erst um 9 Uhr beginnt, antanzen. In dieser ersten Lektion lernte ich die zweite von drei 11. Klassen kennen, mit denen ich zu tun haben werde. Ihr Deutschlehrer ist Roger, der Leiter der Modernen Fremdsprachen. Roger schlägt einen strikteren Ton als Rachel an, was angesichts der Motivation und des Benehmens der SchülerInnen aber auch notwendig ist. Die Leistungsunterschiede innerhalb der Klassen sind frappant: einige SchülerInnen können völlig selbständig und still arbeiten, während andere quer durchs Klassenzimmer miteinander reden oder untätig auf ihren Stühlen sitzen. Eine Schülerin betrachtete das Aufstehen und Tanzen während der Lektion als gute Idee und wurde konsequenterweise aus dem Zimmer gesandt. Ganz allgemein ist der Umgang mit den SchülerInnen sehr viel militärischer. So zitierte Rachel am Nachmittag kurzerhand eine ganze Klasse zurück in den Korridor, nachdem sie mit dem Betreten des Klassenzimmers und dem Einnehmen der Plätze nicht zufrieden gewesen war. Auf dem Korridor wurde die Klasse dann zurechtgewiesen, bevor sie das Schulzimmer wieder, ordentlich und ruhig, betreten durfte. Beim Verlassen der Schule ging ich dann an einer Schülerin vorbei, die gerade von einem Lehrer mit den folgenden Worten in die Mangel genommen wurde, nachdem sie anscheinend Kaugummi gekaut hatte: "Now go back in, shut up and listen!"
Die zweite Lektion hatte ich frei und vertrieb mir die Zeit mit einem Buch, das ich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte. In der dritten und vierten Lektion konnte ich meine ersten Erfahrungen mit den Schülern aus der Sixth Form machen. Die Sixth Form ist in etwa vergleichbar mit dem Gymnasium und bereitet auf das Universitätsstudium vor. Da in der Sixth Form eine erste Selektion schon stattgefunden hat, d. h. nur die SchülerInnen dahingehen, deren Leistungen ein Studium überhaupt zulassen, ist die Stimmung ganz anders. Die SchülerInnen der Sixth Form sind in einem anderen Gebäude untergebracht, haben grossteils separate Lehrer, unterliegen nicht der Uniformspflicht und sind mit den Lehrern meist per Du auf sehr kollegialer Basis. Während mein Unterricht mit den Klassen in den Jahren 7 bis 11 darin besteht, die vier Deutschlehrer im Klassenverband zu assistieren, unterrichte ich die SchülerInnen der Sixth Form ohne anderen Deutschlehrer, aber nur in Zweiergruppen. Das heisst, ich erteile im Prinzip Intensivunterricht mit Schwerpunkten auf Hörverständnis und Sprechen. Dies erfordert zwar einiges mehr Vorbereitung; ich kann den vorbereiteten Stoff aber in jeder der sechs Sitzungen wöchentlich anwenden. Von den Deutschkenntnissen der Sixth Form Schülerinnen, die ich heute hatte, war ich positiv überrascht und ich hoffe, dass sie auch von meiner Arbeit profitieren können.
In einem Gespräch mit Rachel (meiner Mentorin) wurde dann klar, dass ich bei ihr in guten Händen bin und sie sehr darum bemüht ist, dass sowohl Schüler wie auch Lehrer und nicht zuletzt ich von meiner Anwesenheit profitieren. Dies scheint, wie ich aus verschiedenen Quellen erfahren habe, mit dem letztjährigen Assistenten nicht funktioniert zu haben. Ich bin deshalb umso motivierter, mich möglichst gut zu verkaufen um das 'Ansehen' der Sprachassistenten an der Oakbank School zu retablieren.